Text für den Verkündigungsteil der ThomasMesse am 30.03.2003
Im St. Petri Dom zu Bremen
Mt 14, 22-33
Hinführung (HF)
Sie haben sich vielleicht in der Gebetszeit in der Ostkrypta die Installation GENEZARETH angesehen. Die Wellen des Sees, ein Meer aus Glas, hart und scharf sind seine Kanten. Man kann sich an ihnen verletzen. GENEZARETH steht für die Brüchigkeit des Lebens, die Verletzungen mit denen wir leben. Petrus - der sich gerne sah als ein Fels in der Brandung -er wäre fast in diesem See versunken. Wenn nicht Jesus da gewesen wäre, und davor bewahrte in der Tiefe zu versinken.
Lesung Matthäus 14,22-33 (HF)
Aus ganz unterschiedlichen Gründen kann der Boden unter den Füßen zu wanken beginnen. Oft fangen wir uns wieder und doch bleibt eine Verunsicherung zurück. Eine Wunde - äußerlich oder innerlich -erinnert uns an die Verletzung. Man kann mit ihr leben, aber das Leben ist irgendwie anders.
Leben mit einer Behinderung - warum ich? (DS)
Eine Freundin von mir leidet unter einer Allergie, selbst auf Gerüche reagiert sie sehr empfindlich. Oft leidet sie unter Übelkeit und Überreaktionen von Haut und Schleimhaut. Eine schlimme Vorstellung für mich/ für viele. Aber sie sagt:
" Ich bin froh, dass ich nicht deine Behinderung habe.
Ich werde wieder in der Schweiz wandern und die Berge besteigen.
Ich kann ja lange laufen.
Gut, ich kann vieles nicht essen und viele Düfte und Gerüche machen mir arg zu schaffen.
Aber mit meiner Unverträglichkeit habe ich mich arrangiert.
Ich habe die Richtige Behinderung für mich.
Damit kann ich gut leben!
Für mich wäre es viel schlimmer, nicht mehr wandern zu können "
Diese Antwort bekam ich von einer Bekannten, als ich nach ihrer Urlaubsplanung für diesen Sommer fragte.
Mindestens einmal im Jahr hadere ich mit Gott, bin ungehalten, wütend.
Denn ich kann nicht mehr machen, was ich vom Bauch her gerne möchte.
Vor 14 Jahren hatte ich einen Sportunfall. Ich, die immer in Bewegung war!
Warum ich und warum stattdessen kein Stubenhocker?
Ich möchte gerne in den Alpen wandern, aber es geht nicht...
Ich möchte gerne auf eine Berg steigen, aber es geht nicht...
Es gibt auch viele Augenblicke, in denen ich denke, es ist schon o.k.
So konnte ich andere Dinge entdecken.
Aber wenn die Urlaubszeit kommt, dann denke ich immer noch:
WARUM hat Gott mir damals keinen Schutzengel gesandt... WARUM... oder WOZU?
Warum nicht ich? (Ge)
Dorit endet mit der Frage, warum hat Gott keinen Schutzengel geschickt ?
Wenn ich einen 24stündigen Bereitschaftsdienst in der Klinik ableisten muss, werde ich mit vielen Schicksalen von Menschen konfrontiert.
Wenn man helfen kann, vielleicht sogar ganz heilen kann, fällt der Glaube an Gott und an einen Schutzengel leicht. Fast könnte man alle Demut verlieren und fragen: Warum musste der 10jährige Junge überhaupt drei Finger seiner Hand mit der Kreissäge absägen, wenn doch im Krankenhaus die Finger gleich wieder vollständig angenäht werden konnten. Hätte Gott nicht von vornherein einen Schutzengel neben die Kreissäge stellen können?
Oft ist die Situation anders, oft ist sie voller Verzweiflung.
Am vergangenen Sonntag nahm ich eine Patientin auf der Station auf, die Todesangst hatte. Sie bekam schon seit längerem nicht genügend Luft und jetzt hatte sie akute Atemnot. Erst an der Sauerstoffleitung konnte sie berichten:
Mit meinem Mann lebe ich seit Jahren in einem schönen Haus in Bremen. Wir haben uns immer Kinder gewünscht und sahen diesen unerfüllten Kinderwunsch stets als unser größtes Problem. Am Samstag vor 8 Wochen unterhielten wir uns wieder mal über unser Problem bei einem Spaziergang. Plötzlich musste ich husten. Es kam Blut. Ich hatte Schmerzen in der Brust. Schnell wurde die Diagnose gestellt: Ich habe Lungenkrebs. Dabei habe ich nie geraucht. Immer habe ich gesund gelebt. Immer habe ich mich gesund ernährt. Ich bin doch erst 39 Jahre alt. Warum bin ich auf einmal so krank?
Der Lungenkrebs meiner Patientin ist in 8 Wochen sehr stark gewachsen. Keine Therapie kann den Tumor zurückdrängen. Die Therapie beschränkt sich auf die Sauerstoffgabe und die Gabe von Schmerzmitteln.
Ich kann meiner Patientin Hoffnung auf Linderung ihrer Symptome machen, aber keine Hoffnung auf Heilung - heilen kann nur Gott sie.
Als ich nach meinem Bereitschaftsdienst wieder zu Hause war, gelang es mir nicht, die Gedanken an meine Patientin wieder los zu werden. Ich bin auch erst 41 Jahre alt. 41 Jahre wird meine Patientin aber sicher nicht mehr werden.
Durch die vielen schweren menschlichen Schicksale, die ich ständig neu kennenlerne, hat die körperliche und seelische Unversehrtheit einen ganz besonderen Stellenwert in meinem Bewusstsein. Welch großes Wunder, dass ich schon 41 Jahre ohne nennenswerte Krankheit leben durfte. Ja, oft frage ich mich, warum nicht ich, sondern andere so schwer krank sind und fast beklommen, wann ein schwerer Schicksalsschlag mich treffen wird?
Schmerzen gehören zum Leben ( HF )
Ich bilde mir ein, recht zäh zu sein. Trotzdem ist meine Fähigkeit mit Schmerzen zu leben bisher nicht besonders auf die Probe gestellt worden. Im letzten halben Jahr habe ich eine Ahnung davon bekommen, wie es ist, mit dauerhaften Schmerzen zu leben.
Mit meinen Rückenschmerzen bin ich bei mehreren Ärzten in Behandlung gewesen. Geholfen hat mir ein Arzt, der zu mir sagte: " Eins ist klar: schnell geht hier gar nichts. Da helfen allein Geduld und Gottvertrauen." Gottvertrauen habe ich.
Und er sagte: "Schmerzen gehören zum Leben dazu." Dieser Satz hat mich nicht mehr losgelassen.
Viel lieber sind einem Ärzte, die sagen: "Das kriegen wir wieder hin." Ich wusste aber: er hat recht.
Für mich waren die Schmerzen eine Herausforderung, an ihnen innerlich zu wachsen. Ein geistlicher Weg der Demut. Und meine Achtung gegenüber Menschen, die chronisch unter Schmerzen leiden ist gewachsen.
Angst vor Verletzungen - ( Ha )
ch erzähle kurz von unseren Box-Seminaren mit Jungs. ( ziehe einen Boxhandschuh an )
Zentrale Themen sind: der Umgang mit Aggression und Wut, die Bedeutung von Regeln und Konzequenzen, einüben in selbstbestimmtes Handeln und das Entdecken von Angst und Verwundung. ( Beispiele )
Verwundung ist eine notwendige und unvermeidliche Erfahrung im Leben eines Mannes.
Verwundung ist im eigentlichen Sinne eine Vertiefung, eine Form des Erkennens, die weh tut.
Sie ist ein Prozeß der Bewusstwerdung durch die Erfahrung tiefen Schmerzes. Das ist der Preis, den wir zu zahlen haben an das Leben. Und dieser Schmerz ist unmittelbar verbunden mit einer erweiterten Wahrnehmung - wir werden empfindsamer.
Darum ist es fatal, wenn wir versuchen, Schmerzen auszuweichen und alles tun, um Verletzungen zu vermeiden.
Für James Hillmann bedeutet die Erfahrung der Verletzung und des Schmerzes den eigentlichen Zugang zur Seele eines Mannes. Verwundung ist in diesem Sinne die Brücke zu unserer Seele.
Der amerikanische Franziskanerpriester Richard Rohr sieht in unseren Verwundungen die positiven Seiten unserer größten Gaben. Darum dürfen wir unseren Wunden nicht ausweichen. Wir müssen in sie hineintauchen.
Nicht gewinnen oder Erfolg haben macht uns vollkommen. Es heißt, riskieren und scheitern und wieder riskieren, solange ein Mann lebt.
Der Glaube, vollkommen zu sein ist die entscheidende Unvollkommenheit.
In einer reifen Männlichkeit leben neben Kraft, kreativer Neugier und Potenz auch Verwundung, Angst und Impotenz - so können Vergebung, Gelassenheit und Weitsicht integriert werden.
Junge Männer zu Selbstbewußtsein und Stärke zu helfen, bedeutet, sie stark in ihrer Verwundbarkeit und Verletzlichkeit zu machen.
Und sie zu lieben in ihrer unbeholfenen Suche nach einem erfüllten Leben.
Darum boxe ich mit ihnen.
Henner F., Dorit S., Gerald, Hans