Text für den Verkündigungsteil der ThomasMesse am 28.01.2001

Im St. Petri Dom zu Bremen

Thema: Jesus Christus


HF:

Willkommen in der Stadt Chalcedon! Wir schreiben das Jahr des Herrn 451 nach Christi Geburt. Aber bevor ich Ihnen von dem Leben hier erzähle, möchte ich mich kurz bei Ihnen vorstellen. Mein Name ist Andreas.

Ich betreibe ein Fährunternehmen. Im Hafen liegen unsere Lastensegler. Wir befördern mit ihnen Güter über den Bosporus, hinüber nach Europa und zurück.

Ich liebe Chalcedon, unsere Stadt. Wie die meisten hier lebe ich von Handel und Wandel. In meinem Beruf heißt das kühl Rechnen.

Eigentlich hätte ich lieber studiert, drüben in Konstantinopel. Nach wie vor denke ich, ich wäre ein guter Philosoph oder Mathematiker geworden. Ich bin eher ein Kopfmensch. Ich liebe es, den Dingen auf den Grund zu gehen. Inzwischen besitze ich eine ganz ansehnliche Bibliothek. Das Geschäft lässt nur viel zu wenig Zeit für das Forschen. Damals konnte ich mich nicht so recht entscheiden und dann hat mein Vater mir die Entscheidung abgenommen.

Ich brauche einfach Zeit, bevor ich zu einer Entscheidung komme, ich wäge ab, ziehe dies und das mit in Betracht. Das ist einfach meine Natur – aber manchmal wartet das Leben eben auch nicht, bis ich zu einem Ende gekommen bin.

Abends sitze ich übrigens gerne am Ufer und schaue den Seglern nach. Wie sie so über das Meer dahinziehen und vom Abend- zum Morgenland übersetzen. Da kann man gut seinen Gedanken nachgehen und über das Leben nachdenken.

Viele meinen, früher sei es hier beschaulicher gewesen. Seit die eurasische Handelsstraße befestigt und auf zwei Spuren ausgebaut wurde, ist hier tüchtig was los. Besonders seit es den neuen Seehafen gibt. Die Warenströme bringen Wohlstand in die Stadt. Und mit den Handelsreisenden neue Gedanken. Ich mag es so bunt wie es ist.

Chalcedon mausert sich jetzt sogar zur Kongressstadt. Zur Zeit findet hier eine internationale Tagung der Kirchen aus Ost und West statt. Das Konzil berät über schwierige Lehrfragen: Ist Jesus Christus nun ein Mensch gewesen oder Gott selber. Und wenn er Gott ist, gibt es dann zwei Götter: Gott Vater und Gott Sohn?

Einig sind sich aber alle das 1 + 1 nicht mehr als 1 machen darf. Die theologische Mathematik ist schon ein besonderes Feld! Nun streiten die Gelehrten, wie man dieses Rechenkunststück hinbekommt.

Gestern habe ich mir einen Tag frei genommen und habe bei den Beratungen zugehört. Es hat mich beeindruckt, wie ernsthaft und auf welchem Niveau diskutiert wurde. Zwei gegensätzliche Parteien gibt es.

Die eine vertreten von den griechischen Gelehrten der theologischen Fakultät in Antiochia und die andere die der Ägypter in Alexandria.

Die Griechen betonen die Göttlichkeit Jesu. Sie meinen, er sei mehr als nur ein außerordentlicher Mensch. Er sei nicht nur mit Gottes Geist begabt, sondern selber Gott. Nur so als Gott könne er den Menschen Erlösung bringen.

Ein Seelsorger aus dem ägyptischen Alexandria hielt dagegen: Gott sei doch Mensch geworden. Nur wenn er wirklich menschlich gelitten und gestorben sei wie jeder Mensch es muß, sei er der Trost der Welt. Wenn er nur ein menschlich verkleideter Gott sei, sei doch alles nur Schaupielerei.

Ich konnte beide Seiten gut verstehen. Aber wer hat nun Recht ?

Man suchte nach einem Satz dem alle zustimmen können. Verschiedene Vorschläge wurden gemacht:

Christus sei mit Gott wesenseins, sagten die einen, beide seien also zwei Seiten einer Sache.

Wesensgleich, sagten die anderen, und meinten Gott und Christus glichen sich lediglich, wenn man so will wie ein Ei dem anderen.

Man müsse ihn von Gott unterscheiden obwohl er aber untrennbar mit ihm verbunden sei, meinten wieder andere.

Schließlich hieß es Christus sei „...wahrer Mensch und wahrer Gott gewesen.“. Das heißt man solle sich vorstellen, er habe zwei Naturen gehabt, eine göttliche und eine menschliche. Ob das nun die Antwort auf alle Fragen ist? Mir schien es zwischendurch, dass man vor lauter Antworten, die Fragen ganz vergaß.

Wie erklärt man das alles dem einfachen Mann auf der Straße „ wahrer Gott und wahrer Mensch“. Und für jeden logisch denkenden Menschen ist es ein Widerspruch, den man kaum lösen kann.

Ich fürchte, da hat man einen dieser faulen Formel-Kompromisse gefunden, die für den Glauben nur wenig austragen. Wenn man wieder zu hause ist fallen einem wieder die Fragen ein und merkt, dass man die Antwort nicht brauchen kann.

Schade, ich hatte gehofft, die führenden Philosophen und Religionsgelehrten würden mir helfen, meine Zweifel zu zerstreuen.

Ich glaube an Gott, keine Frage. Aber was ist mit Jesus Christus? Kann ich zum Beispiel zu Christus beten?

In der Bibel habe ich übrigens von einem Jünger Jesus gelesen. Thomas mit Beinamen der Zwilling. Er war ein gläubiger Mensch. Aber auch ihn beschäftigte die Frage ob er an Christus glauben könne oder er nur ein Profet Gottes war.

Ich möchte Euch aus dem Johannesevangelium über ihn etwas vorlesen:

( Lesung Johannes 20,24-29 )

 


UK:

Und heute, mehr als 1500 Jahre später? Ist die christliche Theologie heute weiter, wenn sie uns erklären möchte, wer dieser Jesus Christus in Wirklichkeit ist? In jeder gut ausgestatteten Unibibliothek füllt die gelehrte Debatte hierüber Dutzende von Regalen. Und nicht nur Theologen ringen um Antworten. Zahllose selbst ernannte Experten und Hobbyforscher beteiligen sich an Spekulationen darüber, wer dieser Jesus Christus genau war oder ist. Jahr um Jahr erscheinen neue Bücher: „Jesus – der erste neue Mann“, „Der Fall Jesus“, „Jesus aus tiefenpsychologischer Sicht“, „Der Jesus-Mythos“, „Der zensierte Jesus“, „Zwanzig Fragen über Jesus“, um nur Einige zu nennen, die sich in den letzten Jahren auf meinem Bücherregal angesammelt haben.

Meine eigenen Erfahrungen haben mir gezeigt: man kann sich durch Tausende von Buchseiten geradezu hindurchkämpfen – die Gestalt Christi gewinnt dabei keine Kontur, im Gegenteil, sie wird immer undeutlicher. Oft widersprechen sich die unterschiedlichen Bilder, die uns diese Bücher vermitteln, häufig lassen sich diese Bilder nur schwer in Einklang bringen mit dem, was uns die Evangelien, also die frühesten schriftlichen Überlieferungen über Jesus berichten: In manchen Büchern lesen wir, er sei eine Art erster Feminist gewesen, und in der Bibel wird uns berichtet, Jesus habe seine eigene Mutter angeherrscht mit den Worten  „Weib, was habe ich mit Dir zu schaffen“. Uns wird gesagt, Jesus sei ein Revolutionär gewesen, ein Kritiker herrschender Verhältnisse; aber dann lesen wir, wie er seine Anhänger lehrt, sich friedlich der römischen Besatzung unterzuordnen. Dann sagt man uns wieder, Jesus sei vor allem ein Prediger des Friedens und der Versöhnung gewesen, und wir reiben uns verwundert die Augen, wenn wir lesen, wie er Kaufleute mit Gewalt aus dem Tempel vertreibt, wo sie friedlich ihren Geschäften nachgehen. Versucht man, diese zahlreichen Bilder von Jesus miteinander zu versöhnen, fühlt man sich manchmal so, als wollte man einen unregelmäßigen Gegenstand in einem rechteckigen Schuhkarton des gleichen Rauminhalts unterbringen.

Und auch die Wissenschaft hilft uns hier kaum weiter. Seit dem Zeitalter der Aufklärung, seit dem 18. Jahrhundert also, haben sich viele Forscher bemüht, das Bild des wirklichen historischen Jesus zu befreien von dem, was man für Legenden hielt. Bereits vor mehr als 90 Jahren hat der große Theologe Albert Schweitzer gezeigt, wie bei diesen vielen Versuchen immer nur neue und immer verschiedene Deutungen entstanden sind, und wie dabei jede Epoche ein neues und anderes Bild von Jesus gezeichnet hat.

Als Wissenschaftler habe ich gelernt, daß der Zweifel eine zentrale Methode der Wahrheitssuche ist. Keine Aussage darf vor Kritik und Zweifel beschützt werden, jede Behauptung muß im Licht aller vorhandenen Fakten vorurteilsfrei geprüft werden. Warum ist es so schwer, sich auf einem solchen Weg Jesus Christus zu nähern?

Aber auch in der Bibel finden wir Geschichten, in der der Zweifel und die Wahrheitsprüfung eine Rolle spielen. Zum Kreis der von Jesus berufenen Jünger gehörte ein notorischer Skeptiker. Thomas, der ungläubige Thomas, wie er auch genannt wird, war nicht anwesend, als der auferstandene Jesus seinen Jüngern das erste Mal erschien. Als ihm davon berichtet wurde, sagte er

Wenn ich nicht in seinen Händen sehe die Nägelmale und lege meinen Finger in seine Seite, kann ich´s nicht glauben. Und über acht Tage so heißt es weiter waren abermals seine Jünger drinnen und Thomas mit ihnen. Kommt Jesus, da die Türen verschlossen waren, und tritt mitten ein und spricht: Friede sei mit Euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und siehe meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott. Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

Thomas läßt sich nicht vorschnell mit Worten abspeisen – er will sich ebensowenig mit kirchlichen Dogmen von der Auferstehung zufriedengeben wie mit unklaren Auskünften über das, was andere angeblich gesehen oder gehört haben. Thomas muß sich nun keinen Vortrag über die Gefahren des kritischen Denkens und keine Belehrung über Glaubenswahrheiten anhören. Nein, Jesus selber nimmt seine Zweifel ernst. Viel mehr noch: er nimmt den Zweifelnden in seinem Zweifel an. Er wendet sich ihm zu, er sucht ihn auf, er läßt sich von ihm berühren. Seine erste Antwort auf die Frage des Thomas nach den Tatsachen des Glaubens ist nicht etwa ein Lehrsatz, sondern das Angebot einer Beziehung.

Wenn wir der Bibel glauben können, bietet Jesus diese Beziehung auch uns an. Er, der für uns gestorben ist, der uns unendlich liebt, sagt zu jedem von uns: „Laß dich von mir berühren, lerne mich kennen“. Wir, die wir angesprochen sind, Christen und Nichtchristen, reagieren oft auf dieses Angebot, indem wir nach abstrakten Wahrheiten über Jesus suchen, anstatt uns ihm zuzuwenden. Das ist ein wenig so, als würde uns ein anderer Mensch sagen „Ich liebe dich.“ und wir würden ihm antworten: „Nun muß ich mich als erstes bei anderen Leuten über Deine Persönlichkeit erkundigen, um zu erfahren, wer Du wirklich bist.“ Oder „Ich werde jetzt einige Bücher über Psychologie lesen, damit ich weiß, was eigentlich diese Sache namens Liebe genau ist.“ Oder: „Erklär mit bitte erst einmal genau, was Du unter Liebe verstehst!“.

Wenn Jesus uns wirklich begegnen will, wäre es nicht verwunderlich, wenn er sich einer solchen Neugier verweigert. Denn ich kann eine Beziehung auch dadurch vermeiden, indem ich über sie rede. Und ich kann der Begegnung mit Gott auch dadurch ausweichen, indem ich immer nur über ihn spreche, anstatt zu ihm und mit ihm zu reden. Und Jesus läßt mit sich reden, im Gebet kann ich ihm begegnen. Alles kommt darauf an, wie ich mich entscheide angesichts dieses Angebots. Als der ungläubige Thomas Jesus begegnete, wendete er sich ihm zu mit den Worten „Mein Herr und mein Gott.“ Ich glaube, daß alles darauf ankommt, diesen Weg des Vertrauens zu finden und immer wieder neu zu gehen, und daß Seine Hand mich dabei führt, schon lange bevor ich sie selber ergreifen kann oder will.

Udo K., Henner F.