Text für den Verkündigungsteil der ThomasMesse am 1. Weihnachtsfeiertag, den 25.12.2000
Im St. Petri Dom zu Bremen
Thema: 'Heimat – wo bin ich zuhause?'
J.M.: Fremd unter Fremden
Ich lebe seit 20 Jahren in Bremen, aber Bremer
bin ich nicht. Denn ich bin nicht in Bremen geboren – sondern in Bad Segeberg.
Ein echter Bremer ist nur, wer mindestens hier geboren ist und Vorfahren hat,
die auch schon in Bremen lebten – seit drei Generationen und mehr.
So habe ich mir sagen lassen. Und so
habe ich es als Zugereister auch erlebt.. Ich empfand es sogar noch härter:
„ Bremen will mich nicht“
Wenn ich mich aus Richtung Hamburg kommend,
der „ neuen Heimat“ näherte – die Betonkulisse von Osterholz-Tenever grüßte
den Heranreisenden als erstes Zeichen menschlicher Ansammlung, in der Stadt
aber niemand wirklich auf mich wartete, dann hatte ich diese ungute Gefühl.
Erst im Laufe der Jahre änderte sich
das ein wenig.
Ich war eingespannt ins Studium und
lebte in Wohngemeinschaften mit anderen Studenten, die auch nicht aus Bremen
waren.
Später zog meine Freundin hierher und
wir versuchten es zu zweit in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Bremen – Zielort
zweier zugereister arbeitsloser Akademiker...
Ein Gefühl der Fremdheit ist mir bis heute
geblieben. Liegt es an meiner langen Arbeitslosigkeit und an dem häufigen Rückzug
auf unsere Parzelle?
Ich habe Arbeit gefunden – endlich !
Ich bin froh, dankbar, engagiert. Kann ich jetzt sagen:
Ich bin hier zuhause? Gleichberechtigt mit anderen Menschen in dieser Stadt?
Und wenn ich es darf, was ist mit all
denen, die hier erst seit kurzem leben, die keine Arbeit haben, allein sind
und vielleicht noch nicht einmal ein Obdach haben?
S.P.: Heimat in der Fremde
„ ...Denn sie hatten sonst keinen
Raum in der Herberge...“
Dieser satz in der so alt-vertrauten
biblischen Weihnachtsgeschichte sprach mich in diesem Jahr besonders an.
Indem ich mich auf ihn und seine Bildhaftigkeit einließ, wurde mir deutlich:
Schon bei seiner Geburt ist Jesus unbehaust, fremd.
Und da steigen eigene Erinnerungen in mir auf.
Nach dem Krieg wurde unsere Familie
in die Lüneburger Heide verschlagen. Als Flüchtlinge aus dem Osten lebten wir
in einem einsam gelegenen Haus im
Wald, 4km vom Dorf entfernt. So blieben wir für die Dörfler die Fremden, die
Unerwünschten.
Ganz schlimm war es für mich in der
Dorfschule: alle Kinder sprachen `Platt´ - und ich verstand es kaum. An Mitreden
war gar nicht zu denken.
Ich war ausgeschlossen. Einmal bekamen
wir auf, ein plattdeutsches Gedicht zu lernen. Am nächsten Tag zeigte der Lehrer
auf mich und sagte:
„ Komm Du nach vorne und sag es auf.“
Ich hatte kaum begonnen, `över de
stillen Straten...´- da lag die Klasse schon vor Lachen unter den Bänken, so
unmöglich klang in ihren Ohren meine Aussprache.
Und ich fühlte mich allein, ausgegrenzt.
Einfach schrecklich!
Heute ist es mir in ähnlichen Situationen eine Hilfe, mich zu erinnern: Auch Jesus kannte solche Situationen von Fremd-sein. Er ist wirklich solidarisch mit mir / uns.
H.F.: Fremd in der Heimat
Bremen ist meine Heimat. Ich bin hier aufgewachsen.
Später bin ich gerne in die Fremde aufgebrochen.
Nach 13 Jahren bin ich gerne in meine Vaterstadt zurückgekommen.
Heimat sind für mich viele vertraute Orte. Mit ihnen verbinden sich Erinnerungen. Mehr noch Gefühle.
Viele stammen aus der Kindheit, andere verbinden sich mit wichtigen Einschnitten. Heimat kann man riechen und schmecken und hören. Und Heimat das sind Menschen, die mir wichtig sind.
Vieles davon gibt es nicht mehr oder nur noch anders. An der Ecke befindet sich heute ein Sonnenstudio, die rostige Parkbank ist durch eine neue aus Recyclingmaterial ersetzt, der Baum wurde gefällt, die Kirche modernisiert. Menschliche Bande lösen sich. Mit manchem verbindet nur noch eine gemeinsame Erinnerung. Heimat verändert sich – für die meisten ganz undramatisch. Heimat ist kein Museum, an dem jedes Ding seinen festen unverrückbaren Platz hat.
Gelegentlich erfüllt uns das mit Wehmut.
Wir hätten es gerne anders. Manches soll so bleiben wie es immer war und sich
nicht ändern.
Heimat das ist der Ort, an dem ich
sein, darf.
Die Gewissheit: Ich darf ich sein.
Mehr noch: Es ist gut, das ich DA bin. Das ist Heimat.
Darum ist es für einen jeden wichtig,
eine Heimat zu haben. Einen äußeren, vor allem aber einen inneren Ort.
Die Weihnachtsgeschichte spricht in
einem tieferen Sinn über die menschliche Heimat. Und über das Fremdsein, das
ein jeder kennt und das kein Mangel ist, sondern zum menschlichen Leben in dieser
Welt immer auch dazu gehört. Eigentlich wissen wir es, auch wenn wir es oft
nicht wahrhaben wollen. Die Krippe ist kein heiliger und kein Heile-Welt
- Ort.
In der Krippe liegt bereits die Erfahrung
eines ganzen Lebens: Jesus ist fremd auf dieser Welt und wird es bleiben. Die
Erde ist keine Heimat für Gott und die Herzen vieler Menschen bleiben der liebe
gegenüber verschlossen.
Die Weihnachtsgeschichte ist eigentlich
keine schöne Geschichte. Denn was ist das für eine Welt, in der Menschenskinder
auf der Straße zur Welt kommen, in Pappkartons gelegt und wie Vieh behandelt
werden? Nicht allein in Bethlehem vor 2000 Jahren, sondern alle Jahre wieder.
Weihnachten ist alles andere als eine Idylle. Es ist kalt und hart wie das leben mitunter sein kann.
` Warum ist das so? Warum ist es oft so kalt und unwirtlich? Und muß das immer so bleiben?´ picksige Fragen sind das. Oft gestellt und doch nicht abgedroschen- wie das Stroh in der Krippe.
Gerade Weihnachten fragen wir so. Uns wird
besonders bewusst was unheil ist und was noch heil werden muß.
Aber in der Krippe hat all unser Suchen
und Fragen Platz. Und darin liegt für mich schon ein ganz großer Trost.
H.F.:Eine geistliche Heimat finden
Die Botschaft der Engel macht für mich aus
der Weihnachtsgeschichte eine schöne Geschichte. Nicht weil mit einem mal alles
schön und heil ist. Im Gegenteil: Im Licht der Herrlichkeit Gottes wird die
Armseligkeit der Krippe noch deutlicher sichtbar. Aber Gott ist da, gegen
allen Augenschein. Er lässt sich finden, oft gerade in der Fremde und der Unbehaustheit.
Wie tröstlich zu wissen: wenn es dunkel ist und kalt um
mich herum oder auch in mir, bin ich nicht von Gott verlassen.
Jedes Leben, so unscheinbar und klein es aussehen mag, hat von Gott seine Größe und seine Würde. Nicht weil wir großartig wären, sondern, weil der große Gott bei uns ist in allem Kleinmut und aller Verzagtheit. In diese Geborgenheit hinein wurde Jesus geboren.
Als Christ weiß ich, letzte Heimat kann diese
unerlöste Welt mir nicht geben. Doch wichtiger noch ist es, eine geistliche
Heimat zu haben. Dann muß das Fremde uns nicht schrecken.
Ich habe mir zuhause eine Christus Ikone aufgestellt. Christus
legt einem Jünger die Hand freundschaftlich auf die Schulter. In Bayern würde
man sagen: ein Herrgottswinkel. Wohl wissend, dass Christus
nie allein an einem Ort ist:
Um mich an diese oft ferne Heimat zu erinnern, als einen
Lichtblick, auch einen Ort der inneren Zuflucht.
Und nicht zuletzt hilft mir dieser Glaube, mutig zu werden und zu hoffen, dass diese Welt eine menschliche Heimat auf Zeit werden kann.
Amen.
Sabine S., Henner F., Jan M.