Text für den Verkündigungsteil der ThomasMesse am 25.03.2007

Im St. Petri Dom zu Bremen

"Heile, heile, Segen..." (Kinderreim)  Heilung - Heil - Erlösung

Jer. 17, 1 
Heile Du mich, Herr, so werde ich heil.
Hilf Du mir, so ist mir geholfen


    

Im Neuen Testament werden viele Heilungsgeschichten erzählt. Von ganz unterschiedlichen Menschen. Von Männern, Frauen, Kindern.

Eines haben fast alle diese Geschichten gemeinsam: Sie enden mit dem Moment der Heilung.
Wir erfahren nicht, wie es weiter geht. Wir erfahren nicht, was sich für die Menschen nach ihrer Heilung geändert hat.

Wie das wohl für mich wäre? Ich stelle mir vor – ein großer, ein wichtiger Teil, der meine Person ausgemacht hat, geht verloren?
Ich war schließlich immer die, die mit dem steifen Bein nicht so schnell laufen, sich nicht so gut bewegen konnte…
oder – ich habe mich eingerichtet in einer Welt, in der ich die Menschen um mich herum natürlich wahrnehme, natürlich mit ihnen in Kontakt trete, aber – sie eben nicht sehen kann!

Wie sollte ich mich zurechtfinden in einer Welt, die ich vorher noch nie gesehen habe?? Mit wem würde ich sprechen? Was würden jene Menschen sagen mit denen ich vorher ein gemeinsames Schicksal geteilt habe?
Wie könnte ich damit leben, dass ICH geheilt worden bin?
Es gibt so viele kranke, verzweifelte Menschen, die krank bleiben – haben sie es nicht verdient?
Wie kann ich jenen in die Augen schauen, die voller Schmerzen weiter in Unheilbarkeit leben…?

Maria M.

 

Ich bin eine, von der nichts erzählt wird in der Schrift. Es werden so viele Geschichten erzählt. Vielleicht kennen Sie ja einige davon. Geschichten von Blinden, Tauben, Lahmen, Aussätzigen und Besessenen. Viele sind aufgeschrieben worden. Meine nicht.
Warum? Genau weiß ich das nicht.
Vielleicht, weil sie sich am Rand abgespielt hat. Jenseits der Öffentlichkeit. Eigentlich hat es niemand so richtig gemerkt.

Aber von einem Moment auf den anderen hat sich alles geändert. Und in diesem einen Moment gab es nur ihn und mich.

Sie müssen wissen – ich war schon sehr lange krank. Anfangs war ich ein ganz normales Kind. Aber irgendwann sind meine Beine beim Laufen weggeknickt. Einfach so. Ich hatte nicht mehr die Kraft, selbst zu stehen.
Das war schlimm. Auch für meine Familie.
Ich bin die älteste von fünf Kindern. Es war schwer für mich zu sehen, wie meine jüngeren Geschwister alle bald viel mehr konnten als ich. Sie lernten einen Beruf, verliebten sich, heirateten, bekamen Kinder. Und ich war immer noch zu Hause.
Klar, wir haben viele Ärzte und Heiler aufgesucht. Anfangs nach jedem Strohhalm gegriffen. Aber irgendwann haben wir es aufgegeben.
Um meinen Teil zum Familienerhalt beizutragen, saß ich jeden Tag vor dem Tempel und habe gebettelt – so wie viele andere. Nichts Besonderes.
Und so habe ich auch an diesem einen Tag dort gesessen.
Wie immer alleine an meinem Platz. Am Boden. Inmitten der Menschen, die mich doch niemals wirklich ansehen. Immer hasten sie vorbei.

An diesem Tag ist es besonders unruhig.
Aufregung liegt in der Luft. Ich muss aufpassen, dass die Menschen nicht über mich stolpern. Und so ziehe ich mit den Händen meine Beine ganz dicht an den Körper – und warte darauf, dass der Strom an Menschen langsam versiegt.
Mit einem Mal beugt sich jemand zu mir hinunter. Erstaunt sehe ich auf. Ein Mann – kaum älter als ich. Er sieht mich an.
Alles andere ist in dem Moment unwichtig. Er sieht mich, wie ich bin. Er lächelt. Gibt mir die Hand und zieht mich hoch. Ich stehe. Er lächelt wieder und geht weiter. Erst hinterher habe ich verstanden, dass dieser Mann wohl Jesus gewesen sein muss.

Ich bin dann nach Hause gewankt. War völlig neben mir. Mein Tuch mit den mühsam erbettelten Münzen, mit dem ich meine verkrüppelten Beine auch immer verdecke, habe ich vor dem Tempel liegenlassen. Einfach vergessen.
Wieder inmitten der vielen Menschen hat doch niemand gemerkt, welches Wunder da eigentlich gerade passiert ist. Meine Eltern haben mich zu Hause erst gar nicht erkannt. Sie haben mich angeguckt wie eine Fremde.

Sicher. Wir haben uns alle total gefreut. Aber es war auch beängstigend und verwirrend und unheimlich.
Anfangs habe ich beim Einschlafen gedacht, dass am nächsten Morgen wieder alles vorbei ist.

Meine Krankheit war so lange so erschreckend selbstverständlich für mich. Ein Teil meiner Persönlichkeit. Ich habe lange Zeit gebraucht, um meinen neuen Weg weitergehen zu können. Manchmal denke ich tatsächlich, dass mein Leben vorher viel einfacher gewesen ist. Irgendwie klarer. Eindeutiger. Auf eine gewisse Art auch einfacher. Und dann schäme ich mich dafür.
Wie das Wunder passiert ist, das habe ich bis heute nicht kapiert. Auch nicht, womit ich das verdient habe.
Ich glaube, es lag an der Art, wie er mich angesehen hat. Anders kann ich es mir nicht erklären.
Er hat mich gesehen. Nicht übersehen – wie die anderen. Nicht verschämt weggesehen – wie die anderen. Er hat mich gesehen.
Ich hätte nie den Mut gehabt, ihn anzusprechen. Und ich glaube, das hat er gewusst.

Christine S.

 

Wenn ich diese Geschichte weitererzählt höre, wenn ich an andere Heilungsgeschichten aus der Bibel denke, dann fällt mir auf:

Jesus wendet sich jedem Menschen auf besondere Weise zu!

Die, die nur rufen konnten, hat Jesus gehört. Die, die mit letztem Mut an sein Gewand fasste, hat Jesus gespürt. Den, der keinen Laut mehr von sich geben konnte, hat Jesus gesehen – jeden Menschen hat Jesus so wahrgenommen wie sie oder er es brauchten.

Besonders ist sicherlich auch, dass Jesus sich überhaupt diesen Menschen zuwandte – vielleicht war es nach dieser Begegnung seit Jahren das erste Mal wieder möglich mit Menschen in ein Gespräch zu kommen, sich als Teil der Gemeinschaft zu fühlen.
Jesus hat hingeschaut, hat die Menschen wahrgenommen, gesehen, hat sie damit sehenswürdig und ansehenswert gemacht.
Vielleicht ist es auch das, was mich tief berührt, wenn ich Heilungsgeschichten der Bibel heute lese – dass Jesus sich stellte, sich zuwandte, hinschaute, die eigenen Augen öffnete!
Ich will es versuchen!
Wohlwissentlich, dass Menschen davon noch nicht heil werden, aber ich will es versuchen – will hinschauen, auch aushalten und nicht mich wegdrehen!

Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben für Gesundheit zu sorgen, haben einen Anspruch formuliert, der fast niemanden gesund erscheinen lässt. In der Präambel der Satzung der Weltgesundheitsorganisation steht eine Definition von Gesundheit. Wenn ich sie lese, dann denke ich: dort ist etwas von dem Anspruch enthalten, eine Welt zu träumen, in der Menschen heil sind - und sich dafür in die Pflicht nehmen zu lassen.

Dort heißt es:

Gesundheit ist ein Zustand des völligen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.

Vielleicht ist es das, was Heilung bedeuten kann – ganz sein, als ganzer Mensch gesehen werden mit allen Schwächen, Fehlern, Mankos.
Gesehen und angenommen. Und sich dann auch selbst annehmen können.

Heile Du mich, Herr, so werde ich heil.
Hilf Du mir, so ist mir geholfen. Amen.

Maria M.