Dialogpredigt zur Thomas-Messe

am 28. Oktober 2001

'Hair' - Sehnsucht nach Frieden

H:

Harmonie und Recht und Klarheit
Sympathie und Licht und Wahrheit.
Niemand wird die Freiheit knebeln,
niemand mehr den Geist umnebeln.
Mystik wird uns Einsicht schenken,
und der Mensch wird wieder denken.

Wenn ich das so höre, frage ich mich: Klingt das nicht viel zu schön, um wahr zu sein? War das damals und ist es nicht heute nur ein Traum?

R:

Na ja, es hatte sicher etwas Träumerisches. Das Musical 'Hair' ist ja 1968 in den USA uraufgeführt worden. Damals stand der Vietnamkrieg im Hintergrund. Und es gab eine Sehnsucht nach Frieden, Sehnsucht nach einem neuen Zeitalter, nach Love. Peace and Joy, Liebe, Frieden und Lebensfreude. Durch die jüngsten Ereignisse in New York, Washington und Afghanistan ist das Musical ja plötzlich sehr aktuell. Die Sehnsucht nach Frieden  und Liebe erfüllt mich in diesen Tagen schon sehr - und viele andere Menschen auch!

H:

Also, ich weiß nicht! Für mich klingt das alles sehr naiv! Das geht doch an der Realität vorbei! Nüchtern betrachtet hat sich doch seitdem nichts verändert. Damals war es Vietnam, heute ist es Krieg auf dem Balkan, Terror in Nordirland, Palästina und Amerika, Raketen  fallen auf Kabul und Menschen sterben durch Hunger oder Bomben. Da helfen doch keine Lieder!

R:

Ich muss gestehen: ich stehe immer in der Versuchung, dir Recht zu geben und auch zu sagen: es hat sich nichts verändert! Aber wenn ich einen Moment innehalte, dann entdecke ich auch immer wieder die andere Seite. Daß Menschen sich durch Visionen, durch ihre Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit in Bewegung  gesetzt haben und etwas verändert  haben. In Südafrika zum Beispiel: in der Überwindung der Rassentrennung. Die friedliche Kerzenrevolution in der damaligen DDR und der Überwindung des Kalten Krieges.

Ich weiß: das klingt oft nach so wenig angesichts der vielen Kriege und der vielen Toten.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen und euch geht – aber ich brauche Geschichten,  Bilder und Lieder, die meine Sehnsucht und meine Hoffnung auf Frieden wach halten. Wenn ich mich nur den Bildern von Flugzeugträgern, Bombern, zerstörten Gebäuden in New York und Kabul aussetze und hingebe – dann schwindet meine Hoffnung immer mehr. Ich brauche Bilder und Lieder der Hoffnung, um auch mit der aktuellen Situation umgehen zu können, um meine eigene innere Balance zu halten und nicht einfach die Augen zuzumachen  und damit blind irgendwelchen Meinungen zu folgen.

H:

Und wo können wir solche Bilder und Lieder finden, die der Realität standhalten und trotzdem Hoffnung vermitteln?

R:

Als jemand, der mit Gottvertrauen lebt, finde ich solche Bilder und Lieder z.B. in den Psalmen, dem Gebets- und Liederbuch der Juden und der Christen.

D:

(Psalm 85 in der Übertragung von H.-D- Hüsch:)

Meine Hoffnung

Ich wünsche, dass Gott allen Menschen den Frieden ins Herz pflanzt,
damit sie nicht wie die Toren die Friedenssaat zertreten.

Dein Wunsch geht in Erfüllung: denn Gott ist allen Menschen nahe,
die sich zu ihm halten.

Ich wünsche, dass Gute und Treue einander begegnen,
Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.

Du musst nur hinsehen, dann wirst du entdecken:
die Treue wächst auf der Erde und die Gerechtigkeit
schaut schon vom Himmel herab.

I ch wünsche, dass Gott, unser Herr, uns Gutes tue,
damit unser Land gute Frucht bringe.

Siehe, Gerechtigkeit geht vor dir her
und gleichzeitig folgt sie deinen Schritten.
Du bist umgeben von seinem Segen.

H:

Ich wünsche, dass Güte und Treue einander begegnen,
Gerechtigkeit und Friede sich küssen.

Das klingt wirklich schön! Aber ich werde  einfach die Vermutung nicht los, dass das auch an der Wirklichkeit vorbeigeht und wohlmöglich eine Flucht in schöne Träume ist. Was ist daran anders als an den Träumen aus „Hair“?

R:

Also: zum Einen wendet sich dieses Lied aus der Bibel an Gott und erwartet  kein neues Zeitalter vom Wassermann - das scheint ja vielleicht eher etwas trügerisch gewesen zu sein. Ich glaube eben viel mehr, dass da jemand ist, der über alles hinausgeht, was wir mit bloßen Augen sehen - und an den kann ich mich wenden!

Und außerdem ist dieser Lied aus der Bibel doch sehr realistisch: "...dass Gerechtigkeit und Friede sich küssen." Das führt doch geradezu vor Augen, wie sehr Frieden und Gerechtigkeit zusammengehören. Kein echter Frieden ohne Gerechtigkeit, keine echte Gerechtigkeit ohne Frieden. Terror in jeder Gestalt ist abzulehnen und zu ächten, und doch ist ganz klar zu sehen, dass es keinen Frieden geben wird, ohne einen gerechten Ausgleich zwischen Israel und Palästina, zwischen  armen und reichen Ländern. Und andersherum wird es keine Gerechtigkeit geben, ohne Frieden zwischen Juden, Christen und Muslimen.

Um dafür eintreten und arbeiten zu können, brauche ich persönlich eine tiefe Sehnsucht nach Frieden, die mich in Bewegung bringt. Deshalb hat dieses Lied aus der Bibel, deshalb hat der Glaube an Gott nichts mit Weltflucht zu tun -im Gegenteil. Er schenkt mir  eine Sprache und Bilder der Hoffnung, die mich stärkt und in Bewegung setzt.

Renke B., Henning v. S.