Text für den Verkündigungsteil der ThomasMesse am <dd.mm.yy>

Im St. Petri Dom zu Bremen

'Glaube und Wissenschaft'

<Joh. 20, 29 und Hebr. 11, 1>


Glauben kannst Du in der Kirche“ und „Glauben heißt nicht Wissen“. Das waren beliebte Sprüche von einem unserer Lehrer, wenn man den Fehler gemacht hatte, eine Frage damit zu beantworten, dass man sagte „Ich glaube, dass …“ Dieser Lehrer meinte es gut: Wir sollten uns nicht auf ungesicherte Glaubenssätze verlassen, sondern nach festem, gesichertem Wissen streben, nach einer Gewissheit, wie sie einem nur die Wissenschaft schenkt.

Als Forscher und Hochschullehrer muss ich heute ein bisschen lächeln über das Bild, das dieser wohlmeinende Schullehrer uns da von der von Wissenschaft vermittelt hatte. Bereits im Studium fiel mir auf, wie uneinig sich Wissenschaftler oft über erstaunlich viele und über sehr grundlegende Fragen sind. Und gerade diejenigen meiner akademischen Lehrer, die besonders gut über ein Thema Bescheid wussten, haben betont, wie ungesichert viele der bislang akzeptierten Theorien hierzu sind.

Als ich dann meine erste Stelle an einem Forschungsinstitut antrat und mich selber zunehmend in die grundlegenderen Fragen meines Fachs vertiefte, fand ich es immer erstaunlicher, wie viel Vertrauen manche Laien dem gerade aktuellen Stand wissenschaftlichen Wissens entgegenbringen, den sie für endgültig gesichert halten. Experten sind demgegenüber oft sehr schnell bereit zuzugeben, dass wissenschaftliche Theorien einen vorläufigen Charakter haben, dass sie irgendwann, vielleicht morgen schon, durch neue Erkenntnisse überholt sein können.

Ein Philosoph hat diesen Umstand mit einem Bild eingefangen: „die empirische Basis der objektiven Wissenschaft“, so schreibt er, ist „nichts ‚Absolutes'; die Wissenschaft baut nicht auf Felsengrund.“ Dass, was vielen als der feste Grund wissenschaftlicher Erkenntnis gilt, experimentelle Daten und empirische Beobachtungen nämlich, sei eher so etwas wie „ein Sumpfland, über dem sich die kühne Konstruktion (von) Theorien erhebt“, das ganze sei wie „ein Pfeilerbau, dessen Pfeiler sich von oben her in den Sumpf senke“. Und weil man nirgendwo einen festen Grund finden kann, kann man sich immer nur vorläufig „mit der Festigkeit der Pfeiler (..) begnügen.“, nämlich dann, „wenn man hofft, dass sie das Gebäude tragen werden“.

Und doch sind die Gebäude, die da auf dem Sumpfland stehen, oft stabil. Auch wenn es auf unsicherer Basis stehen mag, ist wissenschaft­liches Denken oftmals erfolgreich. Ohne die medizinischen Forschungen der letzten zweihunderte Jahre wären zahlreiche Krankheiten bis heute unheilbar. Ohne die Wissenschaft wüssten wir nicht, dass die Erde als eine Kugel um die Sonne kreist oder dass die globale Klimaer­wärmung uns bedroht und die letzten Zwergelefanten Borneos bedroht sind. Ohne wis­sen­schaftliche Erkenntnisse und deren technische Umsetzung würden wir uns hier vielleicht gar nicht treffen – zumindest müssten wir auf elektri­sches Licht, eine Lautsprecheranlage und gedruckte Liedzettel verzichten.

Warum ist das so, dass Wissenschaft so effektiv ist, wo doch auf der anderen Seite Wissenschaftler gegen Irrtümer und einfachste Denkfehler genauso wenig gefeit sind wie andere Leute auch? Und auch Fälle grober Täuschung und betrügerischer Manipulation gibt es in der Wissenschaft reichlich.

Die Stärke wissenschaftlichen Denkens liegt offensichtlich nicht darin, dass dort nie Fehler begangen werden, sondern darin, wie die Wissenschaftlergemeinschaft mit ihnen umgeht. Nur schlechte Wissenschaft setzt Theorien absolut und lässt keinen Zweifel zu, gute wissenschaftliche Praxis lebt von der Skepsis, davon, dass ständig nach neuen und besseren Erklärungen gesucht wird, davon, dass an alle möglichen Fehlerquellen gedacht wird. Lernen durch Irrtümer kann eine sehr erfolgreiche Sache, wenn man bereit ist, keine Theorie ungeprüft stehen zu lassen. Ein Kollege hat einmal gesagt „Man muss ständig bereit sein, seine gesamten Überzeugungen über Bord zu werfen, wenn man seine Beobachtungen wirklich verstehen will“.

Aber nun werden sich sicher einige fragen, was mich aus meinem Vorlesungs­saal in eine Kirche treibt. Wie kann ich als Wissenschaftler einen religiösen Glauben vertreten, wo in diesem Bereich weder etwas logisch bewiesen noch experimentell geprüft werden kann. Nun sind Wissen­schaft und christlicher Glaube in einer Hinsicht gar nicht so weit auseinander, wie man denken mag – dem Christentum sind weder der Zweifel noch der Streit fremd. Aber gibt es hier, anders als in der Wissenschaft, den Felsengrund, auf dem die Pfeiler der Skepsis stehen bleiben können? Manche Christen führen hier die Bibel, das Glaubens­bekenntnis, die kirchliche Dogmatik oder die kirchliche Tradition ins Feld. Aber ich habe da meine Zweifel angesichts von 2000 Jahren Kirchen­geschichte voller Dogmenstreitigkeiten, Kirchenspaltungen und Ketzerverfolgungen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass hier letztendlich alles auf meine persönliche Beziehung zu Gott ankommt. Den Grund meines Glaubens finde ich erst, wenn ich mich IHM in Gedanken oder in einem Gebet zuwende. Und doch ist auch dieser Grund nicht so fest wie Stein, die Beziehung zu Gott ist nicht ein für alle mal gesichert, ich kann mir Gott nicht verfügbar machen wie ich einen Fernseher einschalten kann, Zweifel gehören für mich zum Glauben ebenso dazu wie Geborgenheit.

Die Suche nach endgültig sicheren Gewissheiten und letzten Wahrheiten aber .. kann im Glauben ebenso wie in der Wissenschaft in den Aberglauben führen. Für mich ist deshalb Glaube nicht primär irgendein Fürwahrhalten von Lehrsätzen, sondern die Begegnung mit einem lebendigen Gott. Wie in jeder persönlichen Beziehung, die auf Vertrauen aufbaut, sind auch in der Beziehung zu Gott die prüfenden Methoden der Wissenschaft fehl am Platze. Gottes Liebe kann ich nicht experimentell prüfen oder empirisch beobachten. Ich kann sie nur im Glauben finden, nirgendwo sonst.

Amen.


Udo K.