Text für den Verkündigungsteil der ThomasMesse am 27.02.2000
Im St. Petri Dom zu Bremen
Bibeltext: Gen 4, 1-16
Gott spricht mit Kain, denn er weiß, wie dem zumute ist, nachdem er sein
Opfer zurückgewiesen hat. Gott weist Kain auf die Gefahr hin: "die
Sünde lauert vor der Tür deines Herzens und will dich verschlingen".
Kain hört nicht.
Gott gönnt uns die Pausen, er will, dass wir die Gelegenheit erkennen und
nutzen, für den guten Weg. 'Beherrsche das Böse' fordert er Kain auf.
Aber der spricht nur zu Abel: komm mit auf's Feld.
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Ich kann mich an viele Situationen erinnern, in denen auch ich wütend war.
Manchmal nur eine Kleinigkeit, Dann gibt ein Wort das andere. Am Ende rege ich
mich nur noch über mein Gegenüber auf, der Anlass ist unwichtig geworden.
Ein anderes Mal wird mir etwas verboten, und dann weiß ich genau, dass
der andere dass der das doch durfte. Wieso ich nicht.
Vom Streit zur Wut und darüber hinaus zum Gewaltakt ist kein kurzer Weg.
Und vor allem ist es kein Weg, bei dem zwangsläufig ein Schritt auf den
anderen folgt. Wir haben immer wieder Möglichkeiten eine Richtung zu wählen.
Und eine Richtung ist die friedfertige und eine andere die gewalttätige.
Wir leben im Widerstreit von Gut und Böse. Beides hat Gott in uns als Möglichkeit
angelegt. Wir können unsere Kräfte einsetzen, um Leben zu fördern
oder zu verletzen. Gott lässt uns immer wieder die Wahl und er verpflichtet
uns zur Entscheidung. Das würde mir Angst machen, wenn ich nicht wüsste,
dass er uns dabei helfen will. Ja, wir vernahmen es: Er spricht mit uns, und
wir können mit ihm sprechen. Und danach ist es für uns Streithähne
vielleicht einfacher, wieder miteinander zu sprechen.
Ich stand zwei Stunden in der Küche und freue mich auf das Essen mit meinem Kind. Und was kommt dann: "ich mag das nicht". Ich erwidere: "ich habe nichts anderes". Mein Kind hört mir gar nicht zu - schreit mich an. Ich sage: "So nicht". Es schreit noch lauter. Ich hebe meine Hand ...
Schlage ich zu? ... Kann ich innehalten?
Udo R.
Es gibt die Gewalt, vor der es für den einzelnen kein Entrinnen gibt. Der Unbekannte der plötzlich und unerwartet aus dem Dunkel auftaucht, die Horde Hooligans, die ohne Vorwarnung zuschlägt.
Aber oft kennen sich Täter und Opfer, sind sich nah. Wie Kain und Abel. Darüber spricht zu wenig. Aber die Bibel tut es.
Die meisten Fälle von Kindesmissbrauch geschehen in der Familie oder durch nahe Angehörige. Die Schüler, denen auf dem Schulweg das Geld oder die neue Lederjacke abgenommen wird, begegnen denen die sie abziehen nicht zum ersten mal. Wie viele werden im Bürgerkrieg Opfer ihrer Nachbarn.
Warum - frage ich mich - ist Abel mit seinem Bruder auf´s Feld gegangen? Um sich auszusprechen, muß man jedenfalls nicht auf´s gottverlassene Feld gehen
Nicht, dass ich von Kains Schuld etwas wegnehmen möchte. Aber ich frage mich, konnte er wirklich nichts tun, um nicht Opfer zu werden.
Hätte er nicht spüren können, dass etwas in der Luft liegt? Nach allem was vorgefallen ist zwischen ihm und seinem Bruder!
Er musste doch um die Eifersucht seines Bruders wissen, um sein Gefühl vom Leben ungerecht behandelt zu werden und seinen ohnmächtigen Zorn darüber, die geballte Energie, die aus verletzter und enttäuschter Liebe kommt.
Kann man sich vielleicht doch schützen? Ich muß mich in Acht nehmen. Ich war nie Opfer von Gewalt. Ich kenne nicht die Angst, die einen verfolgt lange nachdem die äußerlichen Verletzungen längst verheilt sind.
Aber ich weiß: Unheil kündigt sich an. Manchmal kann man ihm ausweichen. Aber in der Regel hat es keinen Zweck, es herunterzuspielen oder nicht zu beachten. Im Gegenteil Schweigen und Wegschauen sind die Vorboten der Gewalt. Man muß sie beim Namen nennen, möglichst früh, solange Worte noch ankommen.
Man darf nicht weggucken, wenn Gewalt in der Luft liegt.
Ich habe mir angewöhnt gerade denen in die Augen zu schauen deren Gegenwart mir unangenehm ist oder mir Angst macht. Manchmal muß ich mich dazu zwingen.
Weil mir Gewalt, die ohne Gesicht bleibt, Angst macht. Und um dem anderen deutlich zu zeigen: Ich werde dich wiedererkennen.
Ich bin mir sicher das hat mich bereits manches mal vor Schlimmerem bewahrt.
Nicht weggucken, so tun als merkte man nichts, Umstehende ansprechen und hinzuziehen, vor allem: nicht schweigen.
Meine Eltern meinen, ich hätte als Kind so lange auf die großen Jungs eingeredet und mit ihnen diskutiert, bis sie schließlich vergessen haben, was sie eigentlich von mir wollten. Ich habe geredet was es nur ging: Weil ich wusste, in der körperlichen Auseinandersetzung werde ich immer unterliegen. Es hat nicht immer gewirkt, aber oft.
Offenheit kann entwaffnend wirken. Wenn Abel gesagt hätte: "Nein, ich gehe nicht mit Dir auf´s Feld. Dort bin ich Dir nicht gewachsen. Ich ahne was Du vorhast. "
Welches Ende hätte die Geschichte von Kain und Abel dann genommen?
Henner F.