Text für den Verkündigungsteil der ThomasMesse am 25.12.2001

Im St. Petri Dom zu Bremen

'Ich bin Fremd hier'


Splitter

HF: Kein Raum in der Herberge

AH: Das Boot ist voll – wie viele Flüchtlinge können wir bei uns aufnehmen?

HF: Politisch Verfolgte genießen Asyl

AH: Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber...

HF: Deutschland ist kein Einwanderungsland

AH: Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

HF: Sie fremdelt eben noch ein bisschen.

AH: Ein bisschen anpassen muss man sich schon.

HF: Kinder statt Inder

AH: Ich bin fremd hier.

HF: Kannst Du kein Deutsch!?

AH: Nix verstehen? Nix Deutsch?

HF: Schön, dass Du da bist.

AH: Entschuldige, dass ich da bin.

HF: Ich bin fremd hier.

AH: Das ist ja wie zu Hause!

HF: Hier halt ich es nicht mehr aus.

AH: Ich bin reif für die Insel.

HF: Man spricht deutsch.

AH: Zuhause aber nicht daheim.

HF: Fremd im eigenen Land.

AH: Zu wem gehörst du?

HF: Die da gehört aber nicht zu uns!

AH: Sie sind aber nicht von hier.

HF: Ich bin gebürtiger Bremer. Fremdsein - wer hätte das Gefühl nicht schon einmal erlebt?

Gedanken zum Thema

AH: Ich kenne das auch. Als Grundschülerin kam ich aus Württemberg nach Hamburg. Niemand hat mich verstanden. Mein schwäbischer Dialekt hat mich sofort als Fremde enttarnt. Für mich als Kind war das furchtbar, nicht dazuzugehören.

Ein Gefühl, das viele Erwachsene auch kennen. Menschen, die unfreiwillig an einen fremden Ort kommen. Ich denke da zum Beispiel an die kleine Familie aus Sri Lanka, die in unserer Kirche seit Monaten im Asyl lebt. Das Leben ist bodenlos geworden für sie. Sie leben in einem fremden Haus abhängig von fremden Menschen. Ihre Sitten und Gebräuche sind uns so fremd wie ihnen die unseren. Bei allem guten Willen bleibt doch am Ende das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Zugehörigkeit ist das Gegenteil von Fremdsein. - Millionen Menschen, die auf unserer Erde unterwegs sind, (sei es als Flüchtlinge, sei es, weil sie anderswo Arbeit suchen, sei es, weil ihre Familiensituation sie forttrieb,) sind auf der Suche nach einem neuen Ort der Zugehörigkeit. Sie suchen einen Ort, an dem sie sagen können: "Hier bin ich richtig. Ja, hier ist mein Platz. Hier ist Vertrautes, ich gehöre dazu, hier bin ich daheim."

Manchmal frage ich mich:

Und was ist das für ein Gott? Manchmal frage ich mich: Bist Du noch da, Gott? Oder sind wir von Dir und deinem guten Geist verlassen? Wie bekomme ich das zusammen: Den Gott voller Liebe und die Kälte unserer Welt?

Fragen, die sich auch Weihnachten stellen. Gerade Weihnachten. Der Zweifler Thomas bringt statt Gold, Weihrauch und Myrrhe seine Fragen mit zur Krippe bringt.

Ist doch eigentlich seltsam, dass wir Christen uns ausgerechnet zu Weihnachten immer wieder eine Geschichte erzählen, in der es die ganze Zeit darum geht, dass Menschen nicht dazugehören, dass sie fremd sind. Sehnen wir uns doch gerade Weihnachten besonders nach Geborgenheit.

Schon bei Josef geht's los: Josefs Vorfahren kamen zwar aus Bethlehem. Er aber ist fremd dort, muss sich ein Fremdenzimmer nehmen. Die Hirten, die als Nomaden durch die Gegend zogen, waren auch Fremde. Die drei Magier, auch sie waren fremd.

Und für den menschgewordenen Gott Jesus - kein Platz. - Bedrohung. Schon kurz nach seiner Geburt sind seine Eltern mit ihm auf der Flucht.

Das ganze Elend der Welt, es liegt für mich in dieser Krippe. Sie ist keine Idylle. Die Weihnachtsgeschichte mit dem Kind in der Krippe erzählt, ein ganz und gar alltägliches Schicksal. So leben Menschen auf dieser Welt, so werden sie geboren und sterben sie zu hunderttausenden. Ich möchte nicht so geboren werden, keiner möchte das. Auch Gott nicht. Trotzdem wird er zum Kind in der Krippe.

So alltäglich ist diese Geschichte, dass fast keiner gemerkt, das Gott überhaupt da ist in all dem Schmutz und Dreck und Gestank. Niemand würde sich heute an die Geburt im Stall erinnern, wenn...

Ja, wenn da nicht die Engel mit ihrer Botschaft von Gottes menschlicher Gegenwart gewesen wären. Ohne die Engel wäre die Weihnachtsgeschichte eine hoffnungslose Geschichte, wie die vielen anderen Geschichten menschlicher Not.

Die Engel sagen: Gott ist da. Gegen allen Augenschein, trotz aller Zweifel. Er ist mitten in unserer Welt. Und er ist mit allen Kleinen und Grossen, die es mitunter friert und die sich nackt fühlen und nicht auf Rosen gebettet liegen.

Der Anfang unserer Glaubensgeschichte - eine Geschichte vom Fremdsein. Ich frage mich, ist Fremdsein Programm christlicher Existenz?

Ich selbst fühle mich nicht selten als Heimatlose. Manchmal komme ich mir dabei ziemlich fremd vor.

Zwar nicht auf der Flucht, aber doch noch nicht angekommen, da wo ich einst sein werde. Ich weiß, mein festes Haus ist nur ein geliehenes Heim auf Zeit.

Ich verkündige die Botschaft von diesem Jesus Christus, auferstanden von den Toten. Ich glaube, das Christus vorangegangen ist in eine andere Welt. Ich träume von einer Welt, die nach dieser Welt kommt, wo es kein Leid, keine Tränen, keine Entfremdung mehr geben wird, keine Trennung zwischen Gott und Mensch und den Menschen untereinander.

Manchmal komme ich mir damit ziemlich fremd vor. Fremd bin ich und auf dem Weg. Aber ich bin in guter Gesellschaft. Jesus war es auch. -

Das bestärkt mich darin, Fremdsein nicht als ein Unglück zu betrachten. Ich sehe es vielmehr als eine Chance, zu wachsen und Gott näher zu kommen.

Mich tröstet das. Können Sie das verstehen? Es tröstet mich, dass Gott uns nicht allein lässt in dieser oft schönen und oft aber auch harten Welt. Es rettet mir meinen Glauben, dass Gott arm und klein wird. Gott ist da. Ganz nah bei uns. Wir sind nicht von ihm vergessen.

Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden den Menschen. Ganz gleich wie unterschiedlich sie aussehen mögen im Gesicht und im Herzen. Überall auf dieser Welt, wo Menschen sich berühren lassen von seiner Nähe. So steht es im Evangelium nach Lukas:

Pastor Henner Flügger
Pastorin Annekatrin Haar

    Lesung: Lk 2,1-20

Jesu Geburt

1 Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde.
2 Und diese Schätzung[A] war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war.
3 Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.
4 Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war,
5 damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe;[A] die war schwanger.
6 Und als sie dort waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte.
7 Und [a ] sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
8 Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.
9 Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr.
10 Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird;
11 denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.
12 Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.
13 Und alsbald war da bei dem Engel [a ] die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen:
14 [a ] Ehre sei Gott in der Höhe und [b ] Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.[A]
15 Und als die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Laßt uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kundgetan hat.
16 Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.
17 Als sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.
18 Und alle, vor die es kam, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt hatten.
19 Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.
20 Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.