Text für den Verkündigungsteil der TomasMesse am 29.03.1998

Im St. Petri Dom zu Bremen

‚Der gekreuzigte Christus’


E.: Jesus wurde gekreuzigt - zwei Tage vor Ostern, Karfreitag, vor fast 2000 Jahren. Damals wie heute ist das für viele, auch für Glaubende, ein Stein des Anstoßes.. Wieso hat Gott es in Kauf genommen, daß Jesus die Kreuzigung, die Todesstrafe für Schwerstverbrecher, erleiden mußte? Daß Jesus so zum Kriminellen wurde? Warum mußte er, Jesus, uns zum Heil, uns zum Leben, uns zum Guten sterben?

G.: Diese Fragen habe auch ich. Mir hilf allerdings, daß es Frauen waren, die bis zuletzt, bis in die Todesstunde hinein bei Jesus aushielten Die Männer, die ihm nachgefolgt waren, hatten sich offenbar längst aus dem Staube gemacht:

E.: Heißt das, ein neuer Feminismus hellt die dunkle Kreuzigungsgeschichte auf?

G.: E s geht nicht um Schlagworte Vielmehr Waren Frauen nicht schon immer diejenigen, die in der Gesellschaft die größeren Lasten zu tragen hatten? Immer noch ein Päckchen drauf?! Haben die Frauen um Jesus vielleicht am ehesten ein Gespür dafür gehabt, wie es einem --zumute ist, der wie Jesus - im wahrsten Sinne des Wortes - sein Kreuz zu tragen hatte?

Ja, ist auf die Frauen um Jesus womöglich am ehesten ein Funke von dem Meister übergesprungen die Leidenschaft. mit der er für Kranke und -Arme, für Sünder und Ausgestoßene eingetreten ist, ‑ fühlten die Frauen sich nicht von ihm am meisten verstanden?! Daß diese Leidenschaft in den Abgrund führen konnte, war bedrückend. Aber konnte nicht gerade den Frauen klar werden: Mit der Kreuzigung Jesu begibt Gott sich in die tiefsten Tiefen menschlicher Existenz hinein-?! Auch an uns geht Gott nicht vorbei.

E.: "Nicht hielt er daran fest. wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich, wurde wie ein Sklave, er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tode am Kreuz." (Phil 2, V 6,7,9). So heißt es in einem urchristlichen Lied. Erstaunlicherweise ist es kein Klagelied, sondern ein Lobgesang. Warum? Hier ist verstanden worden: In der Kreuzigung Jesu zeigen sich Abgründe, wozu Menschenfähig sind, in der Kreuzigung Jesu zeigt sich vor allem aber Gottes unverbrüchliche Solidarität mit den Menschen - mit den Leidenden, mit den Sterbenden, mit schuldig Gewordenen, mit denen, die Sorgen und Lasten mit sich tragen:

G.: Gottes Solidarität auch mit denen. die sich von ihm getrennt haben, von ihm nichts mehr wissen wollen?! So paradox es klingt Von Jesu Kreuz geht also Ermutigung aus: Ich bin nicht allein. Ich bin nicht verloren –Auch in der Tiefe bist du bei mir.

Nicht zufällig haben sich Menschen zu allen Zeiten still in eine Kirche gesetzt und haben andächtig das Bild des Gekreuzigten angeschaut Als Trost haben sie die Botschaft in sich aufgenommen: Gott ist auch im Leiden!

E.: Wieder fällt mir eine Liedstrophe ein. Dietrich Bonhoeffer ein Mann, der bewußt in der Nachfolge des Gekreuzigten lebte, der als Christ zum Widerstandskämpfer wurde, hat in der Gefängniszelle der Gestapo wenige Monate vor seiner Ermordung die bekannten Verse sprechen können „Von guten Mächten wunderbar geborgen / erwarten wir getrost, was kommen mag / Gott ist mit uns am Abend und am Morgen / und ganz gewiß an jedem neuen Tag,“

Oder ganz anders noch: Von einem kürzlich verstorbenen Musiker, der sich viel mit der Passionsmusik von Bach beschäftigt hat, mit den tiefgehenden Liedern, die das Leiden und Sterben Jesu schildern, von dem Mann wird berichtet, er habe gesagt: "Ich habe in meinem Leben so viel Bach gesungen, daß mir Angst vor dem Tod genommen ist."

G.: Nochmals; Ermutigung geht von dem Gekreuzigten aus. Weil Gott im Spiel ist, ist Jesu Tod am Kreuz nicht nur Niederlage, sondern das Ende des Alten und der Beginn eines Neuen. In Gottes Liebe weiß ich mich geborgen. Zugleich ist es die Einladung, selber „in der Liebe zu bleiben" (Joh 15, 9+l0), Tag für Tag den Weg mit Jesus zu geben, sein Kreuz im Alltag auf mich zu nehmen. In seiner Nähe weiß ich, d aß es nicht untragbare Lasten sein werden, die mir auferlegt sind. Vielmehr; „Mein Joch ist sanft, meine Last ist leicht", sagt Jesus ,„Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele," (Mt 11,3 0,29),

E.: Das Kreuz Jesu macht den Glauben an Gott realitätsbezogen. Leiden und Lasten, Mißerfolge, ja, der Tod sind nicht ausgeblendet. Vielmehr wird von Jesus ein Weg gezeigt, nicht nur mit alledem zu leben, sondern gut damit umzugehen. Zugleich darf ich eine Vision von Liebe und Gerechtigkeit vor Augen haben, das Reich Gottes, das mich vorwärts schauen läßt, das mich vorwärtsbringt.

Der Apostel Paulus hat es so ausgedrückt: er habe der Gemeinde keine andere Botschaft zu sagen, als "Jesus Christus, den Gekreuzigten" (1. Kor 2, 2). Auf der anderen Seite gibt es im Johannesevangelium eine Darstellung des Kreuzes, wonach der Gekreuzigte zukunftsweisend - den Siegesschrei ausstößt; „Es ist vollbracht!" (loh 19,30)

G.: Längst ist das Kreuz zum viel gebrauchten Symbol geworden. Von Anfang war es das Erkennungszeichen der Christen. Mitunter ist das Kreuz mißbraucht worden im Dienste von Macht und Gewalt. Doch bis heute wird Gutes mit dem Kreuzessymbol verbunden; weltbekannt ist das Rote Kreuz. Weitere christliche Deutungen sind: das Kreuz als Lebensbaum, d. h. das Kreuz als Inbegriff des Leidens wird nicht geschönt, es bleibt stehen, zugleich wird die andere Seite des Kreuzes, daß Neues daraus „wächst", in Augenschein genommen. Daher das Kreuz als Lebensbaum In südamerikanischen Kirchen schließlich ist das Kreuz Zeichen für die Balance einer Gesellschaft in Frieden.

Was ist das Kreuz für uns? Jede/jeder eingeladen, das kreuz Jesu Zu sich sprechen, auf sich wirken zu lassen, es anzunehmen, es auf sich zu nehmen.

Amen