der Thomasmesse, 30. Januar 2005
Im Vorbereitungsteam für die heutige Messe haben wir in den ältesten jüdischen und christlichen Gebetstexten, den Psalmen, gelesen und waren erstaunt, welche Vielstimmigkeit hier zu finden ist: Beten kann in den Psalmen Freude und Begeisterung, Andacht und ergriffenes Staunen vor der Schöpfung ausdrücken, aber auch verzweifelte Bitten und Forderungen an Gott, schließlich auch heftige Klagen und Vorwürfe.
Der 13. Psalm hat uns angeregt, nachzudenken über drei Arten des Betens, über Klagen , Bitten und Danken.
Dieser Psalm beginnt mit den Worten:
Herr!
Hast Du mich für immer vergessen?
Wie lange willst du dich denn noch verbergen?
Wie lange sollen mich die Sorgen quälen,
der Kummer Tag für Tag an meinem Herzen nagen?
Wenn ich die Klageworte höre, mit denen dieser Psalm beginnt, muss ich unwillkürlich an die große Flutkatastrophe in Asien denken. In den letzten Wochen habe ich oft mit Freunden und Bekannten darüber gesprochen. Angesichts von Hunderttausenden sinnlos ertrunkener Menschen, angesichts der zahllosen Kinder, die ihre Eltern nie mehr wieder sehen werden, lautete die Frage für viele aber nicht: Gott, wie lange willst Du dich verbergen-. Die Frage lautete eher: Kann ein Gott, der so etwas zulässt, überhaupt existieren?-
Andere haben mir Erklärungen und Rechtfertigungen für das Leid und die Tragik dieses Geschehens angeboten. Manche dieser Erklärungen haben mich aber eher erschreckt und abgestoßen als beruhigt: Mehrfach habe ich gehört: die Menschen hätten verlernt, auf die Zeichen der Natur zu hören und müssten jetzt die Konsequenzen dafür tragen. Gilt das denn auch für sechsmonatige Babys? Hätte Gott denn nicht wenigstens die beschützen können? Ein frommer amerikanischer Prediger sah in der Flutwelle eine himmlische Strafe für den Sextourismus in Thailand und für den Bürgerkrieg in Sri Lanka. Warum werden dann aber unzählige Unschuldige gleich mit ersäuft? Soll das heißen: wo Gott hobelt, fallen ordentlich Späne?
Mich schockiert die ungeheure Lieblosigkeit, mit der mir hier manche brave Christen die eiskalte Logik von Gottes angeblichen Plänen erklären wollen, in die sie da vermeintlich Einblick haben. Und ich bin dankbar, dass uns die modernen Naturwissenschaften von Gottesbildern dieser Art befreien, indem sie uns die Gesetze erklären, nach denen von Zeit zu Zeit Seebeben und Flutwellen entstehen müssen.
Warum glauben wir Christen dann aber trotzdem, dass unser Leben und Sterben nicht einfach blinden Naturgewalten gehorcht, sondern einen tieferen Sinn ergibt? Warum vertrauen wir dann auf einen barmherzigen Gott?
Etwas besser verstehe ich das alles, wenn ich auf Jesus Christus schaue: In ihm ist Gott in diese Welt gekommen, um bei uns zu sein. Durch seinen Kreuzestod hat er gezeigt, dass er mit uns an dieser Welt leidet. Und durch seine Auferstehung hat er uns deutlich gemacht: der Tod hat keinesfalls das letzte Wort, unser Dasein umfasst viel mehr als das Leben in dieser oft heillos schwierigen Welt. Wenn ich das glaube, kann für mich kein Leben mehr sinnlos sein, auch nicht das Leben des sechs Monate alten Kindes, das gerade ertrunken ist.
Aber ich gebe zu: den genauen Sinn solcher Ereignisse verstehe ich trotzdem nicht. Aus den Psalmen der Bibel kann ich aber lernen, dass ich dieses Unverständnis nicht verstecken muss. Ich kann mein Unverständnis vor Gott bringen, ich kann es ihm klagen, ich darf ihm sogar Vorwürfe dafür machen. Er, der für mich am Kreuz gestorben ist, hält auch meine Vorwürfe aus.
Der Psalm geht weiter mit den Worten:
Sieh mich doch wieder an, Herr!
Gib mir Antwort, du mein Gott!
Mach es wieder hell vor meinen Augen,
damit ich nicht in Todesnacht versinke!
Diese Zeilen des Psalms machen mich nachdenklich. Nicht so sehr wegen der Bitte, Gott möge mich doch anschauen oder daß ich in einer tiefenTraurigkeit stecke. Nein; bei mir ist es vor allem die Zeile:
Gib mir Antwort, du mein Gott!
Das hat einen ganz konkreten Grund.Vor einem Jahr ging ich in einem Alpendorf spazieren und schaute bei der kleinen Holzkirche vorbei. Ich wusste, daß die Pfarrstelle seit einem halben Jahr nicht besetzt war. Vielleicht gab es aber doch Ostern einen Gottesdienst. Der Schaukasten war sehr vernachlässigt, ich fand nichts. Aber dann, fast schon im Fortgehen, fiel mir ganz oben in der Ecke etwas von Kinderhand Geschriebenes auf. Dort stand: Denk dir du betest und Gott antwortet-. Und im Psalm heisst es doch: Gib mir Antwort du mein Gott-. Nachdenklich ging ich weiter und stellte mir vor, daß ich plötzlich - mitten im Wald - von irgendwo her eine Antwort auf mein Gebet bekäme. Und vor allem: WAS würde ich hören? Und weiter: möchte ich wirklich eine Antwort hören auf mein Gebet?
Beten ist für mich nicht nur bitten, sondern
befreit mich von Lasten. Insgeheim hoffe ich, daß Gott mich hört
und hilft. Was aber, wenn er mir statt dessen Dinge sagt oder gar Forderungen
stellt, die ich gar nicht hören möchte?
Das bedeutet für mich, meinen Glauben zu überdenken. Beten, abgeben, Lösung empfangen... das ist dann nicht alles. Bisher war es doch so, daß ich Gott um etwas bat oder ihm für etwas dankte, danach fühlte ich mich erleichtert und hoffte stets auch auf eine Lösung - durch IHN. Nun kommen neue Aufgaben auf mich zu; Aufgaben die Gott mir stellt und die vielleicht nicht iimmer angenehm für mich sind.
Gott - ob nah oder fern - zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Meine Nähe zu ihm beschränkt sich nicht mehr nur auf meine Bitten an ihn. Ich bedenke vorher, um WAS ich IHN bitte. Vor allem für das, was nicht im meiner Macht steht.
Ich las einmal 'Jeder Mensch glaubt an irgendetwas - es geht nicht ohne Glauben. Der Glaube ist die Steuerungssoftware eines Lebens.'
Mir gefällt diese Formulierung. Ich habe mir vorgenommen,
nach meinem Gebet aufmerksam zu sein, wo und wie auch iimmer, und die Antwort
Gottes zu hören.
Der Psalm endet mit den Worten:
Doch ich verlasse mich auf deine Liebe,
ich juble über deine Hilfe.
Mit meinem Lied will ich dir danken, Herr,
weil du so gut zu mir gewesen bist.
'Ich juble über Deine Hilfe'
Na, da müsste ich schon über meinen Schatten
springen, um hier vor Ihnen zu jubeln.
Obwohl - Grund dazu hätte ich:
Mir ging es eigentlich immer gut. Klar ich war auch schon verzweifelt. Allerdings,
Existenzangst musste ich nicht erleben. Dafür danke ich meinen Eltern.
Sie schufen dafür beste Voraussetzungen.
Nie musste ich mehr aushalten, als ich konnte. Dafür danke ich auch Freunden.
Denn in den Situationen, in denen ich verzweifelte, war immer jemand da, der
mich wieder auf die Beine stellte. Manchmal auch mit einem kräftigen Ruck
- manchmal auch unter seltsamen Umständen.
Wie es dazu kam?
Ich weiß es nicht.
Ich weiß jedoch, dass ich Gott um Hilfe bat, spätestens in Situationen
großer seelischer Not.
Mit seinen Antworten war ich nicht immer glücklich, aber sie haben mich
weiter gebracht.
Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich mich einmal bereits vor einer sehr bedrohlichen Situation gewarnt fühlte. Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass meine Partnerschaft zerbrach - zuviel hatte ich blind, bereits zerstört. Aber durch die Warnung war ich vorbereitet und konnte mit der Situation umgehen.
Spätestens damals habe ich gemerkt, wie gut es ist,
Gott vor schwierigen Entscheidungen um Hilfe zu bitten, nicht erst wenn ich
in der Klemme sitze.
Klappt leider auch nicht immer.
So habe ich gerade letzte Woche erfahren, dass mein Handeln keinen spürbaren
Erfolg einbrachte, sondern einen Verweis.
Aber mein Gebet gibt mir den Glauben: irgendwann werde ich diesen Ausgang verstehen.
Ja, ich glaube, was mir, was mit mir nach solchen innigen
Gebeten geschieht, sind Gottes Antworten.
Beweisen kann ich es nicht - Ich glaube es - Und ich bemerke, ich habe mich
eben wohl nicht bei allen bedankt, die zu meinem Glück beitrugen.
Und so jubele ich - in aller Stille - über die viele Hilfe, die ich erleben durfte. Danke Gott, dass ich Dir danken kann.
Christa H., Udo K., Gisela W., Udo R.