Text für den Verkündigungsteil der ThomasMesse am 26.10.1997

Im St. Petri Dom zu Bremen

'Anonym in der Kirche'


(Wir stehen mit Blick in die Gemeinde, das Gesicht verdeckt eine Augenmaske)

1. Teil: Schlagworte

A:

Anonym in der Gesellschaft

U:

Anonym in der Kirche

A:

Anonyme Briefe

U:

Anonyme Christen

A:

Anonyme Drohung

U:

Anonyme Gräber

A:

Versinken in Namenlosigkeit


2. Teil: Gedankensplitter

U:

Anonymität gibt mir Schutz.

A:

Keine Stellung beziehen

U:

Es ist mir peinlich, mich zur Kirche zu bekennen.

A:

Sich nicht angreifbar machen

U:

Ich bin gerne unerkannt in der Kirche

A:

Anonymität ist Desinteresse

U:

So kommen wir nicht weiter.

A:

Lassen wir die Maske fallen, dann können wir uns sehen und miteinander reden.


(Wir nehmen die Maske herab und wenden uns einander zu.)


3. Teil: Gedanken / Aussagen

U:

Du, ich habe mich sehr wohl hinter der Maske gefühlt. Hinter der Maske hätte ich noch viel mehr sagen können,. Schließlich wollte ich doch nur die anderen auffordern, sich Gedanken zu machen. warum sollte ich dazu mein Gesicht zeigen?

A:

Sehr bequem, weil Du dich dadurch unangreifbar machst. Aber wenn ich  Verantwortung für das, was ich sage  oder tue, übernehmen will, muß ich meinen  Name nennen ‑ ich heiße Annekatrin.

U:

Das fällt nicht leicht, aber O.K., ich bin Udo.

Du, Annekatrin, ich denke schon, daß es peinlich ist, zuzugeben, daß man in die Kirche geht. Für mich ist es noch nicht lange her, daß ich den Mut fand, mich zu meinem Glauben zu bekennen. Und das geht nicht nur mir so, ich las in einem Brief:

„... ich konnte meinen Mund nicht halten und habe erzählt, daß ich in die Kirche gehe. Woraufhin die Lehrerin vor der Klasse laut sagte: ‘ seht mal, so sieht einer aus, der an Gott glaubt.’ .... Und die anderen Kinder wußten, daß sie jetzt lachen durften. Da war ich 6 Jahre alt und konnte mich nicht wehren.“

Und ich empfinde es schon so, daß mir die Anonymität Schutz gibt. Warum sollte ich aus ihr heraustreten?

A:

Ja, Du hast recht. Man muß stark sein, um aus der Anonymität herauszutreten. Aber es gibt auch eine Herausforderung dazu, wenn sich etwas ändern soll. Jesus sagt: „ Ihr seid das Licht der Welt. ...keiner  brennt  ein Licht an, um es dann unter eine Schüssel zu stellen. Im Gegenteil, man stellt es auf einen erhöhten Platz, damit es allen im Haus leuchtet. Genauso muß  auch euer Licht vor den Menschen leuchten.

U:

Das klingt gut mit dem Licht. Das heißt, daß ich imstande sein soll, etwas für andere zu leisten. Aber dann bin da auch ich mit meinen eigenen Problemen.. Ich will sie alleine bewältigen, mich nicht durch andere beeinflussen lassen. Da hilft mir die große Kirche, in der ich mich ganz hinten in eine dunkle Ecke setzen kann.

A:

Du mußt ja nicht nur der große Helfer sein. Anonym zu bleiben, heißt ja auch, Angst zu haben, seine eigene Verletzlichkeit zu zeigen. Und wenn du meinst, du muß alles unerkannt, alleine regeln, dann kommst du in der großen Kirche vielleicht irgendwann nicht mehr alleine aus deiner Ecke ‘raus. Dann ist es gut, wenn du wenigstens offen dafür sein kannst, daß jemand in der Kirche auf dich zugeht, der dich und deine Probleme sieht.

Weißt du, Udo, ich finde diese uralten Geschichten in der Bibel ja immer wieder so faszinierend. Da wird erzählt, wie einer am Rande eines heilbringenden Teiches liegt ‑ unerkannt. Aber er schafft es nicht ins Wasser zu kommen, weil er seine Anonymität nicht aufgeben will und seine unendliche Hilfsbedürftigkeit nicht zugeben kann. Achtunddreißig Jahre lang hält er das aus. Bis Jesus auf ihn zugeht und ihn fragt: Willst du eigentlich gesund werden? Dann steh endlich auf und geh!

U:

Wenn es aber jemand nicht schafft, aus der Anonymität herauszutreten?

A.

Ich bin sicher, Jesus holt mich genauso wie den Mann am Teich aus der Anonymität ‘raus und macht mich heil. Und bei Gott bin ich ganz und gar nicht anonym ‑ namenlos. in der Bibel steht: Fürchte dich nicht! Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir.

Annekatrin H., Udo R.