Text für den Verkündigungsteil der TomasMesse am 25.03.2001

Im St. Petri Dom zu Bremen

‚Alleinsein’


Einleitung:

In dieser Thomas-Messe geht es um das Alleinsein und die Einsamkeit. Alleinsein und Einsamkeit haben zwei Seiten. Sie sind manchmal notwendig und haben heilende Wirkung. Sie können aber auch kippen ins Zerstörerische. Von diesen zwei Seiten der Einsamkeit hören wir gleich eine Geschichte von einem Mann, der in die Einsamkeit flicht, um sein Leben zu retten. Der Mann heißt Elia. Er ist ein Prophet. Ein mutiger Mann Gottes. Er legt sich um der Gerechtigkeit willen auch mit Fürsten und Königen an. Die wollen ihn aus dem Wegräumen. Elia muß um sein Leben fürchten. Deshalb flieht er in die Wüste, in die menschenleere Einsamkeit. Da setzt nun unser Predigttext ein, aus 1. Kön. 19:

D.: liest 1. Kön 19,3-8

LF: Elia zeigt uns, dass es auch für starke und mutige Menschen manchmal um des schieren Überlebens willen notwendig ist, sich zurückzuziehen.

Die Einsamkeit wird dann zum Schutzraum, in dem man durchatmen kann. Aber bei Elia können wir sehen, wie die an sich vernünftige Flucht in die Wüste umschlagen kann in einen resignativen Lebensüberdruss. Elia legt sich unter einen Wacholderbaum und wünscht sich zu sterben: Es ist genug. Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende. So nimm nun, Herr, meine Seele.

Leben kann manchmal so abgrundtief dunkel und düster sein, so verzweifelt und sinnlos, dass es zu solchen Äußerungen des Lebensüberdrusses führen kann: Es ist genug. Es geht nicht mehr.

Bis hierher ist die Geschichte des Elia eine lebenstypische Geschichte, wie sie ähnlich vielen, vielen Menschen geschieht.

Ich denke an die vielen Menschen, die von anderen enttäuscht wurden. Ihre Liebe wurde verraten. Sie wurden verletzt. Menschliche Bindungen sind im Streitzerbrochen. Statt der gewünschten Geborgenheit endlose Hasstiraden. Es bleibt nichts anderes als der Rückzug. Menschen sind gescheitert an ihren eigenen Ansprüchen und Erwartungen. Eine Krankheit hat sie aus der Bahn geworfen. Sie haben sich überfordert. Oder sie wurden überfordert.

Rückzug in die Einsamkeit kann ein wichtiger Schritt zum Überleben sein, um sich zu sammeln, um zu erkennen, wo man ist und was jetzt dran ist

Aber- das sehen wir an Elia - es ist auch ein gefährlicher Schritt. Die lebensrettende Flucht in die Einsamkeit kann umschlagen in resignativen Lebensüberdruss: Es ist genug, Herr. Ich kann nicht mehr. Das Leben versinkt in tödlicher wüster Einsamkeit. Die uns bei der Geburt geschenkte Lebendigkeit weicht einer unendlich matten Müdigkeit.

Bei Elia nun wird aus der bedrohlichen Wüstengeschichte eine wunderbare Bewahrungs- und Rettungsgeschichte. Er legt sich zum Sterben unter den Wachholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss.

Wie fürsorglich nähert sich Gott seinem Elia. Er rühr ihn an. Er schüttelt ihn nicht etwa. Er brüllt ihm keine Befehle ins Ohr: Sprung auf, Marsch-Marsch. Schlapp gemacht wird hier nicht. Nein, der Engel berührt ihn zärtlich: Steh auf und iss. Stärke dich in deiner Erschöpfung. Gott sieht, was Elia jetzt notwendig braucht. Ein geröstetes Brot und ein Krug Wasser.

Elia isst Aber er ist so kaputt, so müde, so am Ende seiner Kräfte, dass er sich wieder hinlegt und schläft.

Ich finde es wunderbar, wie der Engel des Herrn wieder kommt. Er hätte es ja auch lassen können. Mit Elia ist nichts mehr anzufangen. Lassen wir ihn liegen. Bauen wir unsere Geschichte mit anderen Menschen weiter. Mit Menschen, die leistungsfähiger und leistungsbereiter sind. Aber so geht Gott mit seinen Menschen nicht um.

Elia darf in seiner Erschöpfung schlafen. Gott ist geduldig mit Elia. Er kommt noch einmal. Und der Engel des Herrn kommt zum zweitenmal wieder und rührt ihn an und spricht: Steh auf und iss!  Denn du hast einen weiten Weg vor dir Wieder wird Elia angerührt, wieder bekommt er zu essen und zutrinken. Darüber hinaus wird ihm nun aber gesagt: Ich habe noch etwas vor mit dir. Dein Weg ist noch nicht zu Ende. Nein, Du hast einen weiten Weg vor dir. Ich trau ihn dir zu und ich mute ihn dir zu.

Gibt es solche Rettungsgeschichten aus der Wüste auch heute noch. Ja, ich glaube, dass Gottes Engel auch heute noch in den Wüsten unterwegs sind und Menschen anrühren, ihnen zu essen und zutrinken geben, sie schlafen lassen, wenn sie noch nicht so weit sind, aus ihrer Einsamkeit herauszugeben, sie noch einmal anrühren und ihnen einen weiten Weg zumuten und zutrauen und sie also ermuntern: Steh auf und iss. Denn du hast einen weiten Weg vor dir.

Die Frage ist nicht ob es solche Engel gibt, die uns in unseren Wüsten anrühren. Die Frage ist, ob wir uns anrühren lassen, ob wir den Ruf der Engel hören: Steh auf und iss. Sind wir bereit und offen, uns von Gottes Engel anstupsen zu lassen und uns ermuntern zulassen, den weiten Weg zu gehen.

Auf was hören wir. Auf den bösen Lärm, der uns die Ohren voll bläst mit dem sattsam bekannten: Es wird nichts. Es ändert sich nichts. Es hat alles keinen Zweck. Bleib nur in deiner Wüste. Oder hören wir auf die leisen, anrührenden Töne der unvermutet in unser Leben tretenden wunderbaren Boten Gottes, die uns auf unterschiedlichste Art und Weisen anstupsen, wenn wir dabei sind, uns müde und ermattet in unseren Wüsten einzurichten und die zu uns sagen: Steh auf und iss. Denn du hast einen weiten Weg vor dir.

Elia traut dieser zarten stillen Berührung nicht wirklich. Er kann sich nicht vorstellen, dass Gott, der Allmächtige sich in einer solchen leisen Zärtlichkeit zeigt. Hören wir die Geschichte weiter.

D.: liest 1. Kön 19,8.11-13.15

LF.: Elia kann nicht begreifen, dass das eine Gottesgeschichte ist, ein geröstetes Brot zu essen, ein Schluck Wasser zu trinken und aufzustehen und zu gehen. Deshalb geht Elia zum Horeb, zum Berg Gottes. Er will es ganz genau wissen. Dort offenbart sich ihm Gott. Zuerst kommt ein großer und gewaltiger Sturm, der Berge zerreißt und Felsen zerbricht. Aber in diesem Sturm ist Gott nicht. Dann kommt ein Beben und die ganze Erde wird erschüttert. Aber auch darin ist Gott nicht. Schließlich kommt ein Feuer vom Himmel. Aber auch in diesem Feuer ist Gott nicht. Und nach dem Feuer kommt ein stilles, sanftes Sausen. Da verhüllt Elia sein Angesicht. In diesem stillen sanften Säuseln, in dem Leisen ist Gott. Und Gott spricht: Geh wieder deines Weges durch die Wüste nach Damaskus. Die leise Stimme wiederholt, was der Engel sagte: Steh auf Du hast einen weiten Weg vor dir. Ich habe etwas mit dir vor. Lass die Wüste hinter dir. Durchschreite sie.

Gott ist nicht im Gewaltigen und im Grossen, in dem, was die Welt erschüttert. Er ist in dem Kleinen und Leisen. In dem, was Menschen anrührt, so dass sie aufstehen und ihren Weg, ihren manchmal sehr weiten Weg gehen. Sie müssen ihn selbst gehen durch ihre Wüsten. Aber sie sind behütet und bewahrt.

Die Geschichte von Elia in der Wüste zeigt uns, dass auch Starke und Mutige ihre Wüstenerfahrungen machen. Einsamkeit und Alleinsein sind notwendige Lebensphasen. Wenn uns dann eine matte Müdigkeit packt, dann müssen wir offen bleiben für die Engel Gottes, die uns anrühren und berühren, die uns ermuntern wollen, die uns etwas zumuten und zutrauen. Das Leben ist kein eintöniger, grauer und müder Brei. In den oft wüstenhaften Alltagsmühen und in unseren Einsamkeiten können wir feststellen, dass es plötzlich ganz besondere Zeiten gibt. Zeiten, in denen ich spüren kann, wo mich etwas trägt, wo plötzlich Lebendigkeit aufstrahlt Ich mache unerwartet Erfahrung, dass mir etwas geschenkt ist. In solchen Momente bricht eine Queue der Kraft in meinem Leben auf. Da sind die Boten Gottes unterwegs, die Engel, die mich behüten, bewahren, führen und leiten, die mich immer wieder neu zum Aufbruch verleiten.

Amen

Louis F. v. Z.